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Vor 1030 Tagen

«Die Ausweisung der Kontakt- und Titelqualitäten für Einzeltitel müsste in deren Interesse liegen»

Interview mit Harald Amschler

Die diesjährige Frühjahrespublikation der Leserschaftszahlen steht an. Geschäftsleitungsmitglied Harald Amschler und Sandra Heidelberger, Project Manager Marketing/Communications, unterhalten sich im Interview über die kommende MACH Basic 2022-1. Ausserdem gibt der ausgewiesene Forschungsexperte einen Einblick in die Themen, welche die Medienforschung derzeit beschäftigen, und liefert einen Ausblick auf einige Neuerungen, welche die WEMF dem Medien- und Werbemarkt noch in diesem Jahr zur Verfügung stellen wird.

Guten Tag Harald Amschler, am 5. April veröffentlicht die WEMF die Frühjahresausgabe der MACH-Leserschaftszahlen. Was ist anders als bei früheren Publikationen?

In den letzten Jahren haben wir das MACH-Forschungssystem diversen Änderungen unterzogen. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Realisierung der gemeinsamen MACH- und MA Strategy-Datensätze sowie an die Verdreifachung der Fallzahlen in der MACH Consumer im Herbst 2020 und an die Einführung der Kontakt- und Titelqualitäten sowie der MACH Values im Herbst 2021 erinnern.

Neben diesen sichtbaren Neuerungen gibt es methodische Optimierungen, die sich «im Backoffice einer Studie» abspielen und von denen die Nutzerschaft unserer Studien oft nur im methodischen Steckbrief erfährt. Dazu gehört zum Beispiel die Konzeption der MACH-Stichprobe, die auf zufällig ausgewählten und generierten Telefonnummern basiert. Seit April 2021 verwenden wir einen neuen Ansatz für die Mischung von festen und mobilen Telefonnummern. Der Anteil mobiler Telefonnummern in der Stichprobe wurde im Vergleich zu früher erhöht. Das wirkt sich positiv auf deren Repräsentativität aus, gewinnt doch in unserer Wohnbevölkerung die Erreichbarkeit über das Handy immer mehr an Bedeutung. Auch in Zukunft wird der Anteil mobiler Telefonnummern in der MACH-Stichprobe von Befragungsjahr zu Befragungsjahr kontinuierlich zunehmen.

Die MACH Basic 2022-1 ist nun insofern von dieser methodischen Änderung betroffen, da ihre Ergebnisse sowohl auf dem alten als auch auf dem neuen Stichprobenansatz im Verhältnis 3:1 basieren.


Die zunehmende Verbreitung von Smartphones hat auch zu weiteren methodischen Anpassungen geführt, korrekt?

Ja, genau. Auf den Start des Befragungsjahres 2021/22 im April 2021 haben wir nicht nur die MACH-Stichprobe überarbeitet, sondern wir haben auch die Fragebögen für die Telefon- und Online-Interviews der MACH Basic völlig neu programmieren lassen. Wir richteten uns dabei nach dem Motto «Online First». War bisher der Fragebogen für das CATI-Telefoninterview der «Master», so muss sich nun der CATI- nach dem Online-Fragebogen richten. Indem unsere Online-Fragebögen neu ein Responsive Design aufweisen, können wir jetzt auch das Ausfüllen der MACH Online-Fragebögen auf den Handys zulassen. Damit erfüllen wir ein Bedürfnis der zufällig ausgewählten Auskunftspersonen. Momentan wird ca. ein Drittel aller MACH Basic Online-Fragebögen auf dem Handy ausgefüllt. Zusätzlich haben wir in den Online-Fragebögen auch noch einige selbst entwickelte, spielerische Elemente einbauen lassen. Durch diese Massnahmen machen wir die Teilnahme am MACH Basic-Interview auch für jüngere Auskunftspersonen wieder attraktiver. Die Repräsentativität der MACH Basic-Stichprobe profitiert davon.


Wie wirken sich die genannten Änderungen auf die Vergleichbarkeit der MACH Basic 2022-1 mit früheren Publikationen aus? Sind Zeitreihenvergleiche zulässig?

Wie gesagt, die Ergebnisse der MACH Basic 2022-1 basieren auf zwei verschiedenen Stichprobenansätzen und Fragebogen-Layouts. Das Verhältnis zwischen Alt und Neu ist in dieser Publikation 3:1. Schon allein dieses Mischverhältnis trägt dazu bei, dass sich die Einflüsse der angesprochenen methodischen Neuerungen auf die generellen Reichweitenniveaus bei den Zeitungen und Zeitschriften in Grenzen halten. Ein gewisser Einfluss auf die Medienwerte einzelner Titel kann aber dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Dies führt dazu, dass die Titelreichweiten und weitere Medienwerte der MACH Basic 2022-1 (und die von zukünftigen Publikationen) mit jenen aus den Vorpublikationen (MACH Basic 2013-2 bis 2021-2) nur bedingt vergleichbar sind.

Bei der Interpretation von Zeitreihen mit Titelreichweiten gilt es, sich deshalb immer zu fragen: «Könnte es sein, dass die angesprochenen methodischen Änderungen für Ergebnisveränderungen mitverantwortlich sind?» In der Praxis wird das aber immer schwierig zu beantworten sein: «Was ist Methodik, was ist der Markt?» Und, um es noch etwas komplexer zu machen: «Welchen Einfluss hat das Corona-bedingte «New Normal» auf die Titelreichweiten?» Auch hier verändert sich das Mischverhältnis der Interviews aus der Vor- und Nach-Corona-Lockdown-Zeit mit jeder MACH Basic-Publikation.


Im vergangenen Herbst hat die MACH Basic neben den klassischen Leserreichweiten erstmals zusätzlich Kontakt- und Titelqualitäten (KTQ) auf Titelgruppenebene ausgewiesen. Stehen diese Informationen in der Frühjahrespublikation ebenfalls wieder zur Verfügung?

Die Kontakt- und Qualitätswerte für 15 Titelgruppen werden auch wieder in der MACH Basic 2022-1 enthalten sein. Die Angaben zur Lesemenge, Lesedauer, Anzahl Pick-ups und zur Titelloyalität zeigen auf, wie die Leserschaften ihre Pressetitel nutzen und wie stark sie sich mit ihnen verbunden fühlen.


Gibt es konkrete Pläne, die Kontakt- und Titelqualitäten zukünftig auch auf Einzeltitelebene auszuweisen?

Ab der nächsten Publikation (MACH Basic 2022-2) würden uns Originaldaten aus 24 Befragungsmonaten zur Verfügung stehen. Für viele Zeitungs- und Zeitschriftentitel hätten wir also eine ausreichende Datenbasis für eine separate Ausweisung. Wir werden uns mit den einzelnen Pressetiteln in den kommenden Monaten zusammensetzen und abklären, wie gross deren Interesse an Einzelwerten ist.

Ich denke, dass die Ausweisung der Kontakt- und Titelqualitäten für Einzeltitel in deren Interesse liegen müsste. Mit diesen Angaben lässt sich in der Regel nachweisen, dass die Nutzung gedruckter Medien meistens nicht flüchtig und oberflächlich erfolgt. Auch kleinere Reichweiten könnten so ihre Wertigkeit für die Werbewirtschaft belegen.


Letztes Jahr hat die WEMF die etablierte MACH Radar-Studie durch die Psychografiestudie MACH Values abgelöst. Wie haben die Nutzerinnen und Nutzer die Studie aufgenommen?

Es wird uns von allen Seiten bestätigt, dass die neue Value-Psychografie geeignet ist, die Wertehaltungen in unserer Gesellschaft gut abzubilden. Die Visualisierung wird als gelungen, attraktiv und gut interpretierbar bezeichnet.

Die Value-Psychografie in Verbindung mit den Tausenden von Konsumangaben aus der MACH Consumer leistet einen wertvollen Beitrag zur Differenzierung von Marketing- und Kommunikationszielgruppen.


Die WEMF ist bekannt dafür, dass sie ihre Produktpalette ständig weiterentwickelt und ausbaut. Welche Neuerungen sind als Nächstes geplant?

Wir sind nun daran, durch die Verbindung unserer zwei grossen Tätigkeitsbereiche «Forschung» und «Audit» Mehrwert für unsere Kundschaft zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist das Projekt «Digital Out-of-Home meets Consumer» äusserst interessant, werden doch hier zum ersten Mal Auditdaten mit Konsumdaten verbunden. Diesen Weg werden wir weitergehen. Auf der Forschungsseite wird unsere Intermediastudie MA Strategy immer umfassender, auf der Auditseite wird die Auflagebeglaubigung immer mehr Vertriebskanäle umfassen. Last but not least bauen wir auch ständig unsere Tools innerhalb unserer Software-Plattform NEXT>LEVEL aus. Hier ist das Stichwort MedienDB, die Datenbank für die Planung von Werbekampagnen.


Die WEMF ist national und international sehr gut vernetzt. Welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen haben die Medienforschung in den letzten Jahren besonders beeinflusst?

Indem die Medien immer konvergenter werden, die Medienmarken immer mehr im Fokus stehen und die Mediaplanung immer crossmedialer wird, befasst sich auch die gemeinschaftliche Publikumsforschung zunehmend mit der ganzheitlichen Erfassung der Nutzerschaften von Medienmarken und dem Zusammenspiel der Medien verschiedener Mediengattungen. Ich bin ein wenig stolz darauf, dass die WEMF bereits seit dem Jahr 1998 mit der MA Strategy dem Medien- und Werbemarkt eine solide Intermediastudie zur Verfügung stellt.

Die digitale Verbreitung der Medieninhalte ermöglicht es zunehmend, bei den elektronischen Medien die Nutzungen – und nachgelagert auch die Nutzerschaften – mit Hilfe von Trafficdaten (mehr oder weniger) vollständig zu erheben. Dies bedeutet aber nicht, dass deswegen auf traditionelle Medien- und Marktforschungsdaten verzichtet werden könnte. Braucht doch auch das sophistizierteste Modelling mit «Big Data» zusätzliche Angaben aus Befragungen oder Panels. Dass aber die Anzahl Dienstleister von traditioneller Markt- und Medienforschung weltweit zurückgeht, bereitet mir Sorgen.


Welche Trends werden die Branche und damit auch die Medienforschung in den nächsten fünf Jahren beschäftigen?

Eine weitere Beschleunigung des Wandels, einhergehend mit kürzeren Produktezyklen. Die Zunahme der Datenmengen, einhergehend mit einem Bedürfnis nach der Erschliessung der Daten und Ergebnisse mittels mächtiger, aber trotzdem noch benutzerfreundlichen Tools. Auch sehe ich, dass die Medienforschung langfristig weniger eigene Daten produzieren wird. Vielmehr wird sie die proprietären Daten der Medienanbieter auditieren und für die gemeinschaftliche Publikumsforschung nutzen.


Vielen Dank für diesen interessanten Einblick in das WEMF-Forschungslabor.


Harald Amschler

Zur Person

Harald Amschler war bis Ende 2021 stellvertretender Geschäftsführer und bis Ende 2020 langjähriger Forschungsleiter der WEMF. Er hat in dieser Funktion die Entwicklung und den kontinuierlichen Ausbau des MACH-Forschungssystems verantwortet. Als Präsident der International Association of Joint Industry Committees for Media Research (www.i-jic.org) und als Geschäftsleitungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (www.sgkm.ch) kennt er die Forschungstrends in der angewandten Publikumsforschung aus erster Hand.

Das Geschäftsleitungsmitglied der WEMF unterrichtet nebenamtlich als Lehrbeauftragter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich (IKMZ) sowie an weiteren Bildungseinrichtungen.